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In der westlichen Welt ist die HIV-Infektion – sofern sie rechtzeitig diagnostiziert wird – heute in der Regel so gut behandelbar, dass nur noch wenige Betroffene das Krankheitsbild AIDS entwickeln. Dadurch sind auch opportunistische Infektionen (OI) im Zusammenhang mit einem durch HIV bzw. AIDS geschwächten Immunsystem selten geworden [1]. Menschen, die jedoch ohne es zu wissen mit einer HIV-Infektion leben oder trotz dieser Kenntnis keine ärztliche Hilfe suchen, sind nach wie vor einem hohen Risiko für OI ausgesetzt [1].
Die Infektiologen Prof. Christian Hoffmann und Prof. Jürgen Rockstroh haben deshalb ein Unterkapitel in dem von ihnen herausgegebenen Werk „HIV 2020/2021“ der Klinik, Diagnostik und Therapie von OI gewidmet. In diesem Kontext haben sie drei übergeordnete Regeln formuliert, die man als Behandler im Hinterkopf behalten sollte [1]:

Regel #1
Bei fast allen OI gilt: Je schlechter der Immunstatus des Patienten ist, desto früher sollte man an eine invasive Diagnostik denken.

Regel #2
Wenn der Immunstatus des Patienten bekannt ist, können viele OI weitgehend ausgeschlossen werden. Die meisten OI treten nämlich in aller Regel nur dann auf, wenn ein bestimmter Schwellenwert an CD4-positiven Zellen unterschritten wird (siehe Tabelle 1).

Regel #3
Wenn eine OI diagnostiziert wurde, sollte so schnell wie möglich eine antiretrovirale Therapie gestartet werden. Eine Immunrekonstitution ist der beste Schutz vor Rezidiven.

 

Diese opportunistischen Infektionen können im Zusammenhang mit HIV/AIDS auftreten

Tabelle 2 gibt einen Überblick über OI, die bei Menschen mit HIV/AIDS auftreten können. Detailinformationen zur Diagnostik und Therapie dieser Erkrankungen finden interessierte Leser im frei zugänglichen HIV-Buch 2020/2021, TEIL 3, Kapitel 7 (www.hivbuch.de).

Fazit für die Praxis

Menschen mit HIV, die eine oder mehrere OIs entwickeln, sind auf eine rasche medizinische Versorgung angewiesen – im Idealfall durch einen erfahrenen Spezialisten, da die Differenzialdiagnostik und die Therapie von OIs eine Herausforderung sein kann.

Kontaktstellen zur Vermittlung von Patienten mit Verdacht auf eine OI finden Sie unter anderem im deutschen Ärzteverzeichnis auf www.hivandmore.de. Über das dort hinterlegte Formular können sich HIV-Schwerpunktärzte als Ansprechpartner registrieren.

Weitere Informationen zum Thema opportunistische Infektionen finden Sie auch auf der Webseite: https://www.hiv-symptome.de/opportunistische-infektionen/

 

  1. HIV 2020/2021. Herausgegeben von Prof. Christian Hoffmann und Prof. Jürgen Rockstroh, Medizin Fokus Verlag. Verfügbar unter www.hivbuch.de; Stand: 2022

Für Patienten mit unspezifischen Symptomen ist der Hausarzt in der Regel der erste Ansprechpartner – das gilt auch für Menschen, die mit einer noch unbekannten HIV-Infektion leben. In der Hausarztpraxis werden häufig auch die Weichen für die Diagnose und Behandlung gestellt. Ärzte, die die Warnzeichen und Risikofaktoren einer HIV-Infektion kennen, ihre Patienten gut über das Thema HIV aufklären und im Zweifel das offene Gespräch mit ihnen suchen, leisten einen wichtigen Beitrag, um die HIV-Epidemie einzudämmen. Durch die rasche Überweisung an eine HIV-Schwerpunktpraxis können sie den Betroffenen eine Therapie ermöglichen, bevor das Krankheitsbild AIDS zutage tritt.

 

HIV-Infektionen frühzeitig erkennen

Bei einer HIV-Infektion können unspezifische Symptome wiederholt ohne erkennbare Ursache auftreten.
Häufige Symptome sind [2]
–    Fieber
–    dauerhafte Müdigkeit
–    Gelenkschmerzen (Arthralgie)
–    Appetitlosigkeit
–    Hautausschlag
–    Muskelschmerzen (Myalgie)
Durch eine HIV-bedingte Immundefizienz können weitere Erkrankungen und Symptome hinzukommen. Dazu zählen Mykosen, virale und bakterielle Infektionskrankheiten, Gewichtsverlust, chronische Diarrhö sowie neurologische und maligne Erkrankungen [3].

Tests geben Klarheit

Ein HIV-Test ist einfach, kostengünstig und kann  bei Krankheitsverdacht über die EBM-Kennziffer 32006 in aller Regel abgerechnet werden [3]. Menschen aus Hochprävalenzländern sollte, Schwangeren muss im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen ein HIV-Test angeboten werden. Generell sollten sich alle Personen mit wechselnden Sexualpartnern regelmäßig auf HIV testen lassen [1]. HIV-Tests werden von verschiedenen Einrichtungen auch anonymisiert durchgeführt. Es gilt die nicht-namentliche Meldepflicht einer nachgewiesenen HIV-Infektion.

Offene Kommunikation als Erfolgsrezept

Es ist nicht immer leicht, Patienten gezielt auf eine sexuell übertragbare Krankheit und eine mögliche HIV-Infektion anzusprechen. Die 3-P-Fragen zu „Partner, Praktiken und Prävention“ liefern einen Gesprächsleitfaden und helfen Ärzten, das Risiko einer HIV-Infektion besser einzuschätzen [3].

>> Hier  finden Sie unter anderen Leitfäden den von der Deutschen AIDS-Hilfe herausgegebenen Leitfaden für Ärztinnen und Ärzte, der praxisrelevante Tipps für das Arzt-Patienten-Gespräch gibt und auf die verschiedenen Arten der HIV-Testung eingeht.

Grundsätzlich gilt: Je früher eine HIV-Infektion durch ein offenes, einfühlsames Gespräch mit dem Patienten erkannt wird, desto besser sind die Erfolgschancen einer antiretroviralen Therapie. Dadurch erspart man dem Patienten auch eine mitunter jahrelange Odyssee auf der Suche nach der richtigen Diagnose.

HIV-positive Patienten betreuen

Da eine HIV-Diagnose oft als traumatisch und stigmatisierend empfunden wird, sollte der Patient sensibel und in einem geschützten Raum darüber informiert werden. Nach der bestätigten Diagnose wird empfohlen, den Patienten an eine HIV-Schwerpunktpraxis zu überweisen. In der Regel erfolgt daraufhin eine gemeinsame Weiterbetreuung durch den Hausarzt und die auf HIV spezialisierte Praxis. Auf diese Weise kann mit Blick auf ggf. vorhandene Komorbiditäten und Begleitmedikationen die optimale Therapiestrategie gewählt werden. HIV-positive Patienten finden zusätzliche Unterstützung bei den Beratungs- und Selbsthilfeangeboten der Aidshilfen.

Wissenswertes für medizinisches Fachpersonal

Die Gefahr, sich als medizinisches Fachpersonal beim Kontakt mit einem HIV-positiven Patienten zu infizieren, ist sehr gering [1]. Bei antiretroviral behandelten Patienten (und somit der Mehrzahl der HIV-positiven Patienten) ist die Viruslast im Blut so niedrig, dass eine Übertragung nahezu ausgeschlossen ist. Ein Ansteckungsrisiko besteht bei Stich- oder Schnittverletzungen mit kontaminierten Instrumenten und immer dann, wenn offene Wunden oder Schleimhäute mit virenbelasteten Flüssigkeiten in Kontakt kommen. Durch rasch eingeleitete Präventivmaßnahmen lässt sich das Risiko aber auch in diesen Fällen minimieren. Medizinische Fachangestellte können sich im Rahmen einer Fortbildung weiterbilden und sich als MFA mit Schwerpunkt HIV/AIDS zertifizieren lassen.

  1. HIV in der Hausarztpraxis. Verfügbar unter http://www.info-praxisteam.de/2018/04/12_HIV.php; Stand: 12.10.2021
  2. Hecht FM, Busch MP, Rawal B, Webb M, Rosenberg E, Swanson M, Chesney M, Anderson J, Levy J, Kahn JO. Use of laboratory tests and clinical symptoms for identification of primary HIV infection. AIDS. 2002 May 24;16(8):1119-29. doi: 10.1097/00002030-200205240-00005. PMID: 12004270
  3. HIV früh erkennen – AIDS vermeiden. Ein Leitfanden für Ärztinnen und Ärzte. Verfügbar unter  https://www.aidshilfe.de/shop/pdf/9648; Stand: 12.10.2021

 

HIV-positive Menschen haben heute eine ähnlich hohe Lebenserwartung wie die Allgemeinbevölkerung. Im Jahr 2013 waren global betrachtet 10 % der Menschen mit HIV über 50 Jahre alt, in Industrieländern wie den USA sogar 50 %. Seit den 1990er Jahren ist der Altersdurchschnitt der HIV-positiven Weltbevölkerung deutlich angestiegen. Das ist zum einen auf die Entwicklung von antiretroviralen Therapien und zum anderen auf einen Zuwachs an Neuinfektionen in höheren Altersgruppen zurückzuführen [1].

HIV-Neuinfektionen bei älteren Menschen nehmen zu

Ältere Menschen gelten normalerweise nicht als Risikogruppe für eine HIV-Infektion und werden daher seltener auf HIV getestet als jüngere. Dadurch wird die HIV-Infektion bei ihnen oft erst spät entdeckt, was sich ungünstig auf die Langzeitprognose auswirken kann. Eine früh begonnene antiretrovirale Therapie ist nicht nur wichtig, um damit dem Krankheitsbild AIDS vorzubeugen, sondern sie kann auch das Risiko für Komorbiditäten senken [2]. Während eine HIV-Infektion im höheren Alter zu Beginn der Epidemie eher selten war, ist das heute längst kein Einzelfall mehr. Beispielsweise waren 18 % der Patienten, die in den USA im Jahr 2015 eine HIV-Erstdiagnose erhielten, über 50 Jahre alt [1].
Welcher Übertragungsweg spielt in dieser Patientengruppe die größte Rolle? Europäische Daten zeigen, dass sich viele der neu diagnostizierten älteren Patienten über heterosexuellen Geschlechtsverkehr infizieren [2]. Die deutsche Aidshilfe empfiehlt daher, auch bei älteren Patienten das Sexualverhalten und damit ggf. zusammenhängende HIV-Risikosituationen zu erfragen, wenn es Indizien für eine HIV-Infektion gibt – zum Beispiel eine auffällige Infektneigung, die nicht durch andere Ursachen erklärbar ist. Die wichtigsten Aspekte sind dabei die drei P-Fragen nach Partner(n), Praktiken und den Vorkehrungen zur Prävention sexuell übertragbarer Infektionen [3]. Scheint anhand dieser Fragen ein HIV-Test angebracht, empfiehlt sich ein stufendiagnostisches Vorgehen. Das Screening wird dabei in der Regel mit Kombinationstests der vierten Generation durchgeführt. Fällt der erste Test negativ aus und es besteht dennoch der begründete Verdacht auf eine kürzliche Infektion, d. h. vor weniger als 2,5 Wochen, sollte das Ergebnis mit einem PCR-Test (HIV-Nukleinsäurenachweis) gesichert werden [4].
Bei einem positiven Testergebnis ist es wichtig, Betroffene einfühlsam über die Diagnose, die heute guten Therapiemöglichkeiten und das dadurch fast normale Leben mit HIV zu informieren. Wird die Diagnose im hausärztlichen Versorgungsbereich gestellt, sollte der Patient an eine HIV-Schwerpunktpraxis überwiesen werden. Außerdem zahlt es sich aus, auf die Beratungsangebote der Aidshilfen aufmerksam zu machen und die Patienten an Selbsthilfegruppen zu vermitteln [3].

>> Gut zu wissen: Ärzte können HIV-Kombinationstests oder Nukleinsäurenachweise über die EBM-Kennziffer 32006 außerhalb des Laborbudgets abrechnen [3].

 
Altern mit bestehender HIV-Infektion

Bei einer erfolgreichen viralen Suppression und einem intakten Immunsystem (≥ 350 CD4-positive Zellen/µl Blut) haben HIV-positive Menschen eine nahezu normale Lebenserwartung [1]. Dadurch rücken zunehmend geriatrische Herausforderungen wie Multimorbidität, Polypharmazie und typische altersassoziierte Erkrankungen bei ihnen in den Vordergrund. Bestimmte Komorbiditäten treten bei Menschen mit HIV öfter auf als in der Allgemeinbevölkerung. Dazu gehören [1]:
•    Kardiovaskuläre Erkrankungen
•    Osteopenie und Osteoporose
•    Metabolisches Syndrom und Diabetes mellitus
•    Chronische Nierenerkrankung
•    HIV-assoziierte neurokognitive Erkrankungen
•    Bestimmte Malignome
•    Gebrechlichkeit (engl. frailty, unter anderem gekennzeichnet durch eine geringe Belastbarkeit, Muskelschwäche, chronische Erschöpfung oder Sturzneigung)

Der Früherkennung und Prophylaxe dieser Erkrankungen kommt daher bei HIV-positiven, alternden Menschen eine große Bedeutung zu. Dazu gehört etwa die Krebsvorsorge, z. B. für Analkarzinome oder Gebärmutterhalskrebs, sowie eine Osteoporoseprophylaxe.

Es gibt zudem Hinweise darauf, dass Patienten mit HIV-Infektion schneller altern. Die mutmaßlichen Ursachen hierfür sind unter anderem die Dysregulation des Immunsystems, die Seneszenz der Immunzellen und chronische Entzündungen [1]. Weil der Alterungsprozess bei HIV-Patienten ohnehin krankheitsbedingt beschleunigt ist, zahlt sich ein gesunder Lebensstil bei ihnen mit Blick auf die Lebenserwartung umso mehr aus.

>> Hier spricht Prof. Dr. Rockstroh, Leiter der Ambulanz für Infektiologie & Immunologie am Universitätsklinikum Bonn, über das Älterwerden mit HIV.

 

Mit HIV-assoziierten und/oder altersbedingten Komorbiditäten geht oft auch eine Polypharmazie einher. Da eine antiretrovirale Therapie mit bestimmten Medikamenten wechselwirken kann, sollten vor jeder Verordnung potenzielle Interaktionen mit den gängigen HIV-Therapeutika geprüft werden [2]. Informationen zu Arzneimittelinteraktionen sind unter anderem hier abrufbar: www.hiv-druginteractions.org/checker.

  1. Wing EJ. HIV and aging. Int J Infect Dis 2016; 53: 61-68
  2. Wierz V, Nürnberg M. HIV-Infektion in der Pflege: Wegweiser für die Versorgung von Menschen mit HIV. 2022
  3. Deutsche Aidshilfe. HIV früh erkennen – Aids vermeiden. Ein Leitfaden für Ärztinnen und Ärzte. Verfügbar unter https://www.aidshilfe.de/shop/pdf/9648; Stand: 11.05.2022
  4. Nachweis einer Infektion mit Humanem Immundefizienzvirus (HIV): Serologisches Screening mit nachfolgender Bestätigungsdiagnostik durch Antikörper-basierte Testsysteme und/oder durch HIV-Nukleinsäure-Nachweis : Stellungnahme der Gemeinsamen Diagnostikkommission der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung von Viruskrankheiten e. V.(DVV e. V.) und der Gesellschaft für Virologie e. V. (GfV e. V.) Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2015; 58: 877-886