Geriatrische Patienten sind eine Herausforderung für jeden Therapeuten. Aufgrund der häufigen Multimorbidität und daraus resultierenden Polypharmazie versteht man die Geriatrie in der Humanmedizin als fächerübergreifende Disziplin. Das bedeutet letztendlich nichts anderes, als was von der Regulationsmedizin immer gefordert wird: die ganzheitliche Betrachtung.
Auch unsere Haustiere werden immer älter, vielmehr immer früher alt: Altwerden im Sinne von Seneszenz, dem Nachlassen der Leistungsfähigkeit des Körpers.
Seneszenz versus kalendarisches Altern
Unter Seneszenz versteht man also nicht das rein kalendarische Älterwerden –bedeutet dieses doch in der Jugend einen Zuwachs an Leistungsfähigkeit (Abb. 1). Die Seneszenz zeigt sich äußerlich sichtbar vor allem durch vermehrten Muskelabbau, also katabole Prozesse, während in der frühen Phase des Individuums eher anabole Prozesse vorherrschen. Im Zusammenspiel aller Organsysteme liegt beim Menschen das Hoch der Leistungsfähigkeit ca. im 2./3. Jahrzehnt des Lebens. Für einzelne Leistungen liegt das Optimum deutlich früher (Lernfähigkeit, Beweglichkeit), für andere eher später (Ausdauerleistungen, kognitive Leistungen unter Einbeziehung der Lebenserfahrung).
Abb. 1: Vitalitätskurve von der Geburt bis zum Tod
Mit zunehmendem Alter dauert die Phase der Gesundung länger
Anhand der Schnelligkeit möglicher Heilungen oder der Kürze der Rekonvaleszenz-Phasen ist letztendlich auch die Vitalität, die Gesundheit des Körpers, abzulesen. Wundheilungen sind in der Jugend ein Klacks. Infektionen treten bei Jungtieren häufig sehr plötzlich auf, zeigen einen fulminanten Krankheitsverlauf mit zum Teil hohem Fieber und anschließend eine rasche Genesung.
Betagte Patienten hingegen quälen sich oft lange noch mit Symptomen herum, auch wenn das eigentliche Krankheitsgeschehen schon einige Zeit beendet zu sein scheint. Antriebslosigkeit und Kraftlosigkeit, mangelnde Leistungsfähigkeit, die sich schon bei einem kleinen Spaziergang zeigen, vermehrte Schläfrigkeit - alles sehr unspezifische Symptome, die darauf hindeuten, dass der Körper für die Überwindung entzündlicher Vorgänge Energie aus dem allgemeinen Energiefluss für Immunprozesse abzweigt.
Die durch Entzündungen bedingte Konstellation energiesparender Verhaltensweisen ist für die Überwindung von Infektionen durch Viren, Bakterien, Pilzen oder Parasiten oder nach Verletzungen wichtig und sinnvoll, damit dem Immunsystem ausreichend Energie bereitgestellt werden kann.
Inflammaging: Auch das Immunsystem ist vom Älterwerden betroffen
Das Immunsystem wird nicht nur bei Infektionen oder Verletzungen auf den Plan gerufen. Die immer ablaufenden regenerativen und zellerneuernden Prozesse im Sinn der Apoptose und Zellneubildung, Autophagie inklusive der Mitochondrophagie und Erneuerung der Mitochondrien, benötigen die Mithilfe der Komponenten des Immunsystems. Auch das Immunsystem unterliegt degenerativen Prozessen, die Leistungsfähigkeit der Immunabwehr nimmt im Alter ab, gleichzeitig erhöht sich der Bedarf an der Mitarbeit der Immunzellen, da im Alter vermehrt altersgeschwächte Zellen abgebaut und –sofern möglich –erneuert werden müssen. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Immunseneszenz, aus der dann das sogenannte Inflammaging resultiert. Mit dieser Wortzusammensetzung aus Inflammation und Aging werden die vorwiegend im Alter zu beobachtenden chronischen, meist unterschwellig-entzündlichen Prozesse beschrieben.
Das Problem bei geriatrischen Patienten sind also häufig sehr verzögerte Heilungsprozesse und nicht selten sogenannte chronische, zum Teil stille Entzündungen, die in wechselndem Ausmaß mehr oder weniger ständig schwelen, diagnostisch kaum erfasst werden und dem eh schon altersgeschwächten Patienten zusätzlich Energie rauben.
Viele in der Geriatrie auftretende Gesundheitsstörungen, wie Diabetes, Bluthochdruck, Tumorleiden, arthrotische Prozesse, indifferente Schmerzreaktionen bis hin zur Fibromyalgie, werden ursächlich mit dem Inflammaging in Verbindung gebracht. Da diese Erkrankungen auch aus einer verminderten mitochondralen Energieversorgung und einem erhöhten oxidativen Stress resultieren, werden diese auch unter dem Überbegriff der Mitochondropathien zusammengefasst.
Seneszenz auf Zellebene: so altern unsere tierischen Patienten
Die Vorgänge auf zellulärer Ebene sind dadurch gekennzeichnet, das seneszente, also altersgeschwächte Zellen, Botenstoffe und Signale abgeben, die zur Anlockung von Immunzellen und zur Aktivierung der Entzündungskaskade führen. Man spricht von Seneszenz-assoziierten molekularen Mustern (senescence asssociated molekular pattern), die von den sogenannten Zellen mit Seneszenz-assoziierten sekretorischem Phänotyp (SASP) ausgehen. Die SASPs verlieren mitunter ihre Fähigkeit zur Apoptose, was ihre Signalwirkung verstärkt bzw. verlängert [1].
Durch die freiwerdenden Zytokine und Mediatoren der Immunzellen kommt es zur Schädigung noch intakter und gesunder Zellen in der Nachbarschaft. Es konnte gezeigt werden, dass die Transplantation weniger seneszenter Zellen in gesundes Gewebe zur nachhaltigen Gewebsschädigung der vormals gesunden Zellen führt.
Aufgrund zahlreicher Faktoren: Menschen und Tiere altern immer früher
Diese ursprünglich dem wirklich hohen biologischen Alter zugeschriebenen Veränderungen treten heute bei Mensch und Tier nicht erst in der üblicherweise kurzen, finalen Lebensphase auf, sondern mitunter schon in einem Alter, in dem man eigentlich davon ausgehen müsste, dass noch keine altersbedingten Krankheiten zutage treten.
Die Ursachen hierfür werden in Belastungen oder Umständen gesehen, die geeignet sind, für sich allein chronische und chronisch-stille Entzündungen hervorzurufen und damit die eigentlich erst im Alter auftretenden Veränderungen zu triggern. Hierzu gehören Risikofaktoren, wie
- Übergewicht
- chronische Infektionen
- mangelnde Bewegung
- unzureichende Qualität der Nahrung
- Dysbiosen
- diverse Xenobiotika aus der Umwelt und in Form von Medikamenten
- chronische Stresszustände, hervorgerufen durch Schlafstörungen, überbordende Anforderungen oder auch die Dauerbeschallung mit Mobilfunkstrahlen und dergleichen
Die chronischen Entzündungen führen dann zum Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Stoffwechselentgleisungen, wie Diabetes, Schilddrüsenüber- und unterfunktionen, Arthrosen oder Osteoporosen, Muskelabbau, Autoimmunerkrankungen, vermehrten Krebserkrankungen und neurodegenerativen Störungen [2].
Abb. 2: Risikofaktoren für geriatrische Erkrankungen
„Altern ist eine unausweichlich physiologische Veränderung des Organismus mit fortschreitendem Verlust der Anpassungsfähigkeit.“ sagt Georg Christoph Lichtenberg (1742 -1799), deutscher Physiker und Meister des Aphorismus. Es ist ein normaler Vorgang, sollte aber nicht zu früh bzw. verfrüht einsetzen, wie es heute fast schon die Regel ist.
Wenn wir von „Verlust der Anpassungsfähigkeit“ lesen, dann bedeutet das, dass der Korridor der Homöostase immer enger, und der Bereich, in dem der Körper Abweichungen von der Homöostase noch tolerieren bzw. wieder ins Lot bringen kann, ebenfalls geringer wird [3].
Abb. 3: Schema der Homöostase
Senolytika: Adaptogene im Einsatz gegen Alterungsprozesse
Bestrebungen, Alterungsprozesse aufzuhalten oder gar rückgängig zu machen, gibt es vermutlich schon seit Menschengedenken und haben leider auch sehr viele unrühmliche Dinge hervorgebracht.
Mittlerweile können in diesem Zusammenhang sogenannte Adaptogene, die zum Teil auch als Senolytika bezeichnet werden, wissenschaftlich begründet Einsatz finden. Adaptogene sind natürliche Verbindungen oder Pflanzenextrakte, die die Anpassungsfähigkeit, Widerstandsfähigkeit und das Überleben von Organismen gegenüber Stress erhöhen. Die Wirkmechanismen werden beschrieben als Multitarget-Effekte auf das neuroendokrine Immunsystem, einschließlich:
- Auslösen von intrazellulären und extrazellulären adaptiven Signalwegen, die das Überleben der Zellen und die organismale Belastbarkeit bei Stress fördern
- Regulation des Metabolismus und der Homöostase durch Auswirkungen auf die Expression von Stresshormonen (Corticotropin und Gonadotropin freisetzende Hormone, Urocortin, Cortisol, Neuropeptid Y, Hitzeschockproteine Hsp70) und deren Rezeptoren. Als mögliche Anwendungsgebiete werden beim Menschen stressbedingte Müdigkeit, psychische und Verhaltensstörungen sowie altersbedingte Erkrankungen angegeben [3]
In präklinischen Modellen verzögern, verhindern oder lindern Senolytika Gebrechlichkeit, Krebs und kardiovaskuläre, neuropsychiatrische, Leber-, Nieren-, Bewegungsapparat-, Lungen-, Augen-, hämatologische, Stoffwechsel- und Hauterkrankungen sowie Komplikationen bei Organtransplantation, Bestrahlung und Krebsbehandlung [1].
Die Multi-Target-Wirkungen von homöopathisch aufgearbeiteten Medikamenten sind durchaus mit denen der Adaptogene zu vergleichen. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass diese Form der Therapeutik, sowohl die Heilpflanzenzubereitungen als auch die potenzierten Präparate, die schon geschwächte Anpassungsfähigkeit geriatrischer Patienten nicht zusätzlich beanspruchen, sondern insgesamt die Patienten entlasten und damit zur Besserung der Gesamtsituationen führen.
Lesen Sie im Folgenden, was Sie bei den vier wichtigsten geriatrischen Problemen Ihrer tierischen Patienten tun können:
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- Nachlassen der Stoffwechselfunktionen
- Probleme mit dem Bewegungsapparat
- degenerative Erkrankungen
Literatur
[1] Xu, Ming et al. “Senolyticsimprove physical function and increase lifespan in old age.” Nature medicine vol. 24,8 (2018): 1246-1256. doi:10.1038/s41591-018-0092-9
[2] Panossian, Alexander G et al. “Evolution of the adaptogenicconcept from traditional use to medical systems: Pharmacology of stress-and aging-related diseases.” Medicinal research reviews vol. 41,1 (2021): 630-703. doi:10.1002/med.21743
[3] Furman, David et al. “Chronic inflammation in the etiology of disease across the life span.” Nature medicine vol. 25,12 (2019): 1822-1832. doi:10.1038/s41591-019-0675-0